2011by Caitlin Reed
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z.B. für „Suche im Moor"
E
s war in einer dunklen Nacht an einem finsteren See. Der Nebel hing wie ein blasser Fetzen über dem Land und ich konnte fast nichts sehen. Ich lief zu der Lichtung, wo sonst immer mein Haus stand. Plötzlich bemerkte ich, dass an der Stelle, wo mein Haus stand, nichts mehr war. Nur ein See. Ich kannte den Wald schon ewig, aber diese Stelle war mir noch nie aufgefallen. Ich hatte so einen Durst, dass ich aus dem See trank. Dann läuteten die Kirchenglocken aus dem weit entfernten Dorf. Auf einmal sah ich eine große Burg an der Stelle meines Hauses stehen. Ich hörte plötzlich ein Grunzen hinter mir. Es raschelte. Ich wirbelte herum. Ein paar rot glühende Augen starrten mich an. Ein Schauer lief mir über den Rücken. Was war das? Mir blieb nichts anderes übrig als in die Burg zu laufen. Auf der alten vermoderten Tür war ein Zeichen. Es war ein umgedrehtes A. Das A wurde mit einer seltsam roten Farbe gemalt. Ich griff nach dem alten verrosteten Türgriff, der früher einmal Bronze gewesen sein musste. Mit Knarren schwang die Tür auf. Licht fiel in einen großen Raum mit einem staubbedeckten Kronleuchter an der Wand. Ich hatte Angst. Aber ich musste weiter. Meine Taschenlampe leuchtete nun einen schmalen kleinen Gang entlang und ich kam in ein einen runden Raum. Es war ein riesiges Regal an der Wand und ich nahm eines der Gläser heraus. Es war mit roter Flüssigkeit gefüllt. Blut! Auf der Seite standen Namen. Ich stellte das Glas zurück ins Regal und rannte raus in den nächsten Raum. Er war noch schrecklicher. Überall waren Leichen in seltsamen Kleidern, die sehr alt schienen. Alle hatten das seltsame A in der Haut. Ein blutiges Messer lag in der Mitte des Raumes. Ich schrie. Was sollte ich tun? Ich sah auf all die Menschen herab. „Gefällt es dir?“, zischte eine Stimme vor mir. Eine Gestalt in einer langen schwarzen Kutte stand auf der einen Seite. Sie kam langsam näher. „Lange haben wir keine Besucher mehr gehabt! Du hast wohl aus dem See getrunken!“ Ich wusste nicht, was das heißen sollte. Ich wollte die Gestalt nicht ansehen. Die Gestalt drehte sich um. Es war grauenhaft. Dort, wo das Gesicht sein sollte, war nichts. Die Kapuze war mit Luft gefüllt. Die Gestalt rief etwas und hob die Hände. Sie bestanden nur noch aus Knochen. Ich konnte nicht mehr hinsehen. Ich sah auf die Leiche einer Frau neben mir. Sie öffnete auf einmal die Augen. Ihr leerer Blick sah an die Decke. Sie hob die Hand und griff nach meinem Arm. Alle Leichen kamen auf mich zu. Streckten die Hände aus. Ich spürte kaltes Grauen in mir hochsteigen. Ich dachte an den Tag. Er hatte so schön angefangen. Schatten tanzten an der Wand. Wie viele Leichen waren es wohl? Ich schloss die Augen. Ich hatte keine Chance, zu überleben. Ich sah am Boden etwas blitzen. Das Messer! Um die Leichen von mir wegzuschaffen, musste ich denjenigen töten, der sie erweckt hatte. Die Gestalt! Ich trat mich durch die Massen. Aber sie war nicht mehr da! Die Leichen gingen mir immer noch wie Schlafwandelnde hinterher. Die Tür! Ich rannte zur Tür. Ich hatte das Messer in der Hand. Ich fühlte einen schlimmen Schmerz. Mein Arm! Das Zeichen, das A! Jemand hatte es hinein geritzt! Ich fühlte, wie mir langsam schwindelig wurde. Ich öffnete die Tür. Ein Festmahl. Alle Leute um mich tanzten und lachten. Es muss schon länger her sein, denn die Damen trugen rüschende Kleider, die Männer feine Anzüge. Wie konnte das sein? Ich wollte ein Mann im schwarzen Anzug etwas fragen, aber er bemerkte nichts. Schließlich sah ich eine Kutte. Die Gestalt! Ich packte das Messer. Ich stach zu! Ein Schrei! Das Festmahl um mich herum verschwand. Ich stand in Ruinen. Die Gestalt war verschwunden. Tod. Ich rannte, rannte hinaus aus der Blutburg! Ich drehte mich um. Mein Haus. Die Burg verschwunden! Mein Haus war wieder an seinem alten Platz.
Als ich am nächsten Morgen in die Schule kam, lief mir Alice, meine Freundin, entgegen. „Hey, schau mal, das Tageblatt hat einen Bericht über eine alte Sage aus dem Mittelalter gemacht. Schau mal!“ Ich las die Überschrift.
Ich starrte auf den Artikel. Er war so lang, das ich ihn nicht mal annähernd lesen wollt. Alice liebt Sagen. Sie hatte 40 Sagenbücher zu Hause, und nun, da das Deutsche Tageblatt jede Woche eine Sage aus mittelalterlichen Sagenbüchern abdruckte, hatte sie jeden Schultag eine Zeitung mit und las heimlich unter ihrem Tisch. „Los les schon!“ „Lies du!“, meinte ich. Alice erzählte mir also die Sage. Im 15. Jahrhundert wurde ein kleines Mädchen geboren. An ihrem 4. Geburtstag ist sie mit ihren Eltern zum Dorfsee gegangen. Doch das Mädchen wurde von einer seltsamen Welle erfasst. Am anderen Ufer saß eine schwarze Meerjungfrau. Sie hatte die Welle herbeibeschwört. Das Mädchen ertrank. Damit sprang die Nixe zurück in den See. Der Vater versuchte, das Mädchen zu retten. Aber es war zu spät. Sie wurde in der Kirchengruft begraben. Die Eltern waren schwer verletzt deswegen. Schließlich, 3 Jahre später, begann die große Hexenjagd. Menschen, die angeblich Hexen waren, wurden gefoltert oder auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Die Mutter des Babys war eine Hexe. 1 Jahr hielt sie sich versteckt, doch sie wurde erwischt. Man verbrannte sie. Der Vater wurde verbitterter. Er schrie, hielt sich abseits vom Dorf. Eines Tages verlor er seine Gestalt. Er wurde zu einem Skelett, das nur von dem Blut der Menschen lebte. Jede Nacht holte er sich Männer, Frauen und Kinder und tötete sie. Sie wurden zu Inferi, sie brachten ihm das Blut, in der Nacht bei Vollmond erwachten sie und ernährten sich von Blut. Der Vater des Babys baute eine dunkle Burg im Wald. Er hieß Anetius und zum Zeichen seiner dunklen Macht schuf er ein Zeichen. Das Zeichen aller dunkler Mächte, das stärker war als alle Zauberer zusammen. Ein umgedrehtes A. Er baute Schutzzauber um seine Burg, die für alle anderen eine Lichtung im Wald war. Die Inferi wurden in die Burg geschafft. Er ließ die schwarze Nixe töten und verbrannte sie. Danach legte er einen Fluch auf den See, jeder, der daraus trank, sah die Burg, spürte einen Drang, hinein zu gehen. Nur wer Anetius ermordete, die Inferi besiegte und es aus der Burg schaffte, würde überleben. Viele Leute starben und das Geheimnis der Burg ist bis heute nicht gelüftet. Angeblich geistert Anetius’ Tochter, deren Namen niemand weiß, in der Kirchengruft herum. Nur wer ihr Tagebuch fand, konnte sie erlösen.
Alice hörte auf zu lesen. „Wow, wie wär’s denn, wenn wir den Geist erlösen?“ Ich lachte nicht. Ich hatte nun einen ganz anderen Glauben an Sagen, da ich es selbst erlebt hatte. „Na gut…“ Alice sah mich verwundert an. „Gut“
Nach der Schule trafen wir uns. Ich wusste nicht, wie alt die Dorfkirche war, aber ich glaube, sie ist schon 1000 Jahre. Wir gingen an der „Kasse“ vorbei und bezahlten. Ein paar modrige Wendeltreppen führten in die Gruft. Alte Särge standen dicht gedrängt herum. Die Namen der Toten waren eingraviert in die Deckel. Auf einem Sarg lag ein kleines rotes Buch. Ich nahm es in die Hand. „Hey, schau mal!“, rief ich Alice zu, „Ein Buch!“ Alice lachte. „Ein Buch?“ Wir öffneten den Deckel und lasen.
Tagebuch
Mathilde Amegus
19.12.1566
In einem Monat habe ich Geburtstag. Wir werden meine Kommunion feiern. Ich werde endlich 9. Sie wird neben der alten Dorfkirche am See stattfinden. Ich freue mich so.
19.1.1567
Heute ist mein Geburtstag! Ich habe heute meine Kommunion. Wir gehen in einer Stunde zum Dorfsee. Dort wohnen angeblich schwarze Nixen...
„Alice! Das ist ihr Tagebuch!“ Ich konnte es kaum fassen! Das Tagebuch von Mathilde lag schon 500 Jahre auf einem Sarg! Niemand hatte es bemerkt! „das hat sie eine Stunde vor ihrem Tod geschrieben!“, sagte Alice und sah auf Mathildes Sarg herab. „Ob sie noch Verwandte hat?“ Ich wusste es nicht. „Wir sollten an den See gehen!“ Ich nickte. Draußen war es dunkel geworden. Der Vollmond schien auf den See herunter. „Das an einem so schönen Ort schwarze Nixen wohnen“, meinte Alice. Auf einmal hörte ich ein Rascheln. Ein Platschen. „Alice!“ Aber es war zu spät. Alice hatte aus dem See getrunken. Um mich herum wurde es schwarz.
„Daddy!“ Ein Mädchen lachte und sprang am Seeufer herum. Es hatte polanges blondes Haar und blaue Augen. Das Kleid war weiß und knielang. Es hatte penibel gerade, weiße Socken und weiße Lackschuhe. Es schien alles um mich herum ausgeblichen zu sein wie auf den alten Schwarzweißfotos von Oma. Alle Menschen waren glücklich und lachten. Auf dem Buffet lagen altmodische Desserts und eine weiße Torte mit Zuckerguss. „Alice?“ Sie stand hinten und starrte erschrocken auf das Wasser. Eine wunderschöne Nixe saß auf dem Stein und kämmte ihr meterlanges Haar. „Daddy! Eine Nixe!“ Der Mann mit geradegeschnittenem braunem Haar drehte sich erschrocken um. „Verschwinde!“, schrie er. Aber die Nixe lachte gehässig und warf ihre blonden Haare nach hinten. Auf einmal verfärbte sich ihr Schwanz schwarz ihre Haut wurde kalkweiß und ihre Haare pechschwarz. Es war grausam. Auf einmal hob sie die Hände und rief irgendetwas. Eine riesige Welle schwappe über den Rand und ergriff das blonde Mädchen. „Daddy! Ich fliege! Ja!“ Doch die Welle verschluckte das Mädchen. Es schrie. „Mathilde!“ Eine Frau rannte zum See und fing an zu weinen. „Sie ist tot! Dies ist eure Vergangenheit. Und die Zukunft!“
„Ahhhh!“ Ich schrie. Schrie. „Mary! Hör auf!“ Wer war das? Ich öffnete die Augen. Mathilde? Sie war es. „Du bist tot.“ „Ich bin ihr Geist.“ Ich sah das Mädchen an. „Erlöse mich!“ „Wie?“ Das Mädchen zeigte auf den See. „Schubs mich hinein und nehme meine Kette!“ „Nein!“ „Doch! Um mich zu erlösen, musst du mich töten, dass ist der Fluch!“ Ich ging zum See. „Hier!“ Sie gab mir einen Anhänger in Gold. Ein Herz. „Danke!“ Ich hängte es mir um. Dann musste ich Mathilde in den See schubsen. „Danke!“ Ich mochte Mathilde. Ich konnte nicht.... „Jetzt!“ Ich schubste, sah Mathildes blondes Haar aufleuchten. Auf einmal verschwand sie. Sie und die Wellen waren eins. Für immer.
„Alice!“ Alice saß am Seeufer. „Was war los? Ich habe den schrecklichen Tod von Mathilde auch gesehen.“ Ich hatte sie erlöst. „Wo warst du?“ „Es geht ihr gut.“ Alice sah mich an. „Woher willst du das wissen?“ Ich nahm das Herz in die Hand. „Ich weiß es einfach.“