,,Dingelingel „machte Mr. Tschings Glocke. “Oh nein Familienrat!“, stöhnte Sky und auch die anderen drei Schwestern schienen nicht gerade begeistert. Wenn ihr Vater klingelte, kamen die vierjährige Lilly mit dem Hund Skitty und der Katze Lissy, dann die zweitjüngste, aber trotzdem 5 Jahre ältere Jane, die 12-jährige Sky und die älteste Katarina ins Wohnzimmer um etwas zu besprechen. Ihre Mutter war vor 2 Jahren verschwunden. Dieses Mal ging es um die Herbstferien. ,,Ich will nach Grönland!“ „Nein nach Italien!“ „Quatsch, lieber nach Afrika!“ „Oder zum Nordpol, zu den Eskimos!“ „Das heißt Inuit.“ Alle vier Schwestern riefen durcheinander. Doch Mr. Tsching meinte stolz: ,,Ich habe bereits eine Radtour nach Amerika gebucht.“ „ Das ist doch viel zu teuer!“, widersprach Katharina. Doch ihr Vater erklärte schlagfertig: ,,Gar nicht, denn dort habe ich einen Ort gefunden, wo wir kostenlos Zelten können.“,, Aber dann haben wir ja kein Telefon!?“, gab Sky, die immer stundenlang mit ihrer Freundin telefonierte, zu bedenken. „Na ja dann warn Lucy lieber schon mal vor.“, meinte Mr. Tsching lachend. Sky stürmte gleich zum Telefon. ,,Wahnsinn!“, Jane machte große Augen, “Wo denn?“ „Auf einem netten kleinen Platz in einem Ort namens Nissestadt.“ „Super, ich werd mal im Internet danach gucken.“ Währenddessen rief Sky ihre Freundin Lucy an. „Düt...Düt...Düt..., Hallo, hier spricht Simone Sell. „Guten Tag hier ist Sky, kann ich mal bitte Lucy sprechen? Es ist sehr wichtig!!!“ „Tut mir leid, Lucy ist gerade bei ihren Großeltern in Hessen. Aber wenn es so wichtig ist, ruf sie unter der Nummer 369...573...034 an. Tschüss.“ „Tschüss und vielen Dank.“, verabschiedete sich Sky, die sich fleißig die Nummer notiert hatte und sie nun ins Telefon tippte. Nach einer Weile hörte Sky eine etwas schnippische Stimme am anderen Ende der Leitung: “ Guten Tag, hier ist Mrs. Citschining. Wer ist da? „Ähm... Guten Tag, hier... ähm is...ist Sky. Könnte ich...Hm...vielleicht ihre Enkelin.. Lucy sprechen?“ „Lucy? Wer ist das? Ich kenne sie nicht. Du musst dich verwählt haben.“ „Oh Entschuldigung“, murmelte Sky kleinlaut. Ihr war die Sache natürlich sehr peinlich. „Ich wollte die Enkelin eines alten Mannes anrufen.“ „Oje wahrscheinlich so eine verwöhnte Zicke von einem griesgrämigen Typ.“ „Nein, überhaupt nicht. Beide sind sehr nett.“, entgegnete Sky mit einer Spur von Unfreundlichkeit in der Stimme. „Oh...Ähm...Ähh...“ Nun war Mrs. Citschining verlegen. „Ähm...Ich glaube wir sollten Schluss machen, es wird langsam teuer. Ich wohne nämlich in Ghosttown.“ Und schon hatte sie aufgelegt. Sky wunderte sich, aber dachte sich nichts dabei. Lucy war entsetzt als sie erfuhr wie lange sie nicht mehr mit Sky telefonieren konnte. Sie schlug vor ein Handy mitzunehmen, aber Sky vermutete, dass sie auf dem Kirchenhügel wohl keinen Empfang haben würde. Zwei Stunden später kam Katharina ratlos und von Sky wieder. „Ich habe nichts gefunden, was auf Nissestadt hindeutet.“ „Ach ja“, ihr Vater schlug sich an die Stirn, „Ich habe ja eine Ortsbeschreibung!“ Katharina seufzte, sie war so etwas gewohnt. „Der einzige Ort mit Kirche war Ghosttown. Aber dort herum ist ein riesiger Friedhof und dein beschriebener Platz ist ja direkt neben der Kirche, oder?“ Ihr Vater nickte. „Wann fahren wir los“, schrie Lilly. „Morgen, macht schon mal eure Fahrräder fertig und packt eure Sachen.“ „Papa Schluss mit lustig, ich habe gelesen, dass es eine Art Rennen ist.“ Naja, gebucht war gebucht und am nächsten Tag ging es los. Mit dem Wasserdichten und mit gläsernen Fenstern versehenen Zelt im Gepäck. Mr. Tsching war Erfinder und hatte es selbst gebaut. Jane und Sky hatten die Boxen mit dem Hund Skitty und der Katze Lissy auf den Gepäckträgern. Keine wusste, wie sie es geschafft hatten von Deutschland nach Amerika mit dem Fahrrad zu kommen und dabei sogar den vorletzten Platz zu belegen. (Das lag daran dass einer von Radrennfahrern schlecht geworden war und nicht am Rennen teilnehmen konnte.) Doch als sie zum beschriebenen Ort kamen, begrüßte sie ein alter, verlassener, bereits gammelnder Ort. Die verfallenden und verlassenden Häuser machten einen schaurigen Eindruck. Vor ihnen stand ein vergilbtes Ortsschild mit der Aufschrift: GHOSTTOWN. An ihm hingen tausende Spinnenweben und die Stille war nahezu beängstigend. Beim Anblick wurde James schlecht. Plötzlich stand eine alte Frau hinter ihnen. Die Tschings hatte sie nicht kommen hören, um so mehr erschraken sie als die Frau mit rauer Stimme krächzte: „Aha, sie sind sicher auf der Suche nach Nissestadt.“ Sky sah ihre gelben Zähne aufblitzen. Auch Mr. Tsching war so erstaunt, dass er einfach nur nickte. „Einst hieß dieser Ort Nissestadt, doch dann sah man einen Geist und die Leute flüchteten in die umliegenden Dörfer. Wenn sie mich fragen: Völliger Schwachsinn.“, fuhr die alte Frau fort. Es war dieselbe Stimme wie die der Frau am Telefon, wie Sky feststellte. Das machte ihre Zweifel am Ort nicht gerade weniger, eher im Gegenteil. „Nun dann sind wir hier ja richtig“, stellte Mr. Tsching fest. Er schien das ganze für eine gelungene Ferienüberraschung zu halten. Die vier Schwestern jedoch blieben misstrauisch. Auch Skitty gefiel das ganze gar nicht und Lissy machte einen Buckel. Doch was blieb ihnen anderes übrig, zögernd folgten sie ihrem unbekümmert pfeifenden Vater zur Kirche. Da die 4 Kinder und 2 Tiere sich viel Zeit ließen durch die verlassenen Straßen mit den verfallenen Häusern zu schlendern, hatte der Vater bereits das große Zelt mitten auf dem Friedhof aufgeschlagen, als sie endlich an der Kirche angelangten. „Nettes Plätzchen hier, was?“, fragte er als sie schnaufend bei ihm ankamen. Sie ignorierten ihn jedoch und auch wenn sie ihm eine Antwort gegeben hätten, wäre diese nicht gerade freundlich gewesen. Während Katharina ihrem Vater bei dem Aufbauen des Zeltes half, sahen die anderen 3 sich um, plötzlich stieß Sky einen markerschütternden Schrei aus. Die anderen 3 stürmten zu ihr und als sie sahen, warum sie geschrien hatte, war es plötzlich sehr still-totenstill. Nicht einmal die Vögel zwitscherten, dass kam davon, dass das was sie dort erblickten wirklich rätselhaft war, denn dort auf dem Grabstein stand:
Andrea Tsching
1906
1930
1972
2011
Das seltsame daran war, dass 3 der Daten durchgestrichen waren. „Aber das ist ja Mamas Name!“, unterbrach Lilly das Schweigen. „Warum sind die Daten immer durchgestrichen?“ „Nun...Das heißt eigentlich...Naja, das jemand auferstanden ist...“, erklärte Katharina zögernd. „Dann ist Mama also bereits 3-mal auferstanden?“, flüsterte Lilly ehrfürchtig.
„Hmmm...“, Katharina nickte ernst und langsam mit dem Kopf. „Ach Quatsch!“ Mr. Tsching schüttelte den Kopf, „Erstens ist es nicht Andrea, denn schließlich könnten diese vergilbten Buchstaben auch Andrea Tschong heißen. Und zweitens...Naja so ist es eben.“ „Stimmt, da hatte er recht. Die Buchstaben sind wirklich ziemlich vergilbt und schwer zu entziffern.“, dachte Sky. „Und außerdem“, fuhr ihr Vater fort, „sieht es sicher nur so aus als wären sie durchgestrichen vom Schmutz.“ Sky, Lilly und Katharina nickten verständnisvoll, doch Jane war sich nicht so sicher, dass es sich nicht um ihre Mutter handelte. Es begann auf dem kleinen Kirchenhügel zu dämmern und nach einem Abendessen, das aus Grünkohl und Würstchen bestand, legten sich alle in den Schlafsäcken schlafen. Bald waren alle eingeschlafen, alle bis auf Jane, sie wälzte sich schlaflos von einer Seite auf die andere. Die Luft war kalt und nebelig, die gläsernen Fenster des Zeltes waren beschlagen und sie fröstelten. Die Bäume wiegten sich sachte im Wind, ihre Schatten ähnelten Monstern. Irgendwann hielt sie es nicht mehr aus. Auf leisen Sohlen schlich sie in die dunkle Nacht hinaus. In diesem Augenblick schoben sich zwei dicke Wolken vor den Mond, und es leuchteten nur noch die Sterne. Sie lief schnurstracks zu dem Grab, das sie am Nachmittag entdeckt hatten. Doch was dann geschah, war wirklich gruselig. Denn plötzlich schnellte unter dem - wie Jane bemerkte - erhobenen Grabstein, eine knorrige Hand hervor und strich 2011 weg. Erst fand Jane all das nur seltsam, doch dann begriff sie alles, und nun wünschte sie, sie wäre im Zelt geblieben. Ihr Herz begann schneller zu schlagen, denn Katharina hatte erklärt, dass nun das Gespenst aus seinem Grab kommen würde, doch nichts geschah. Erleichtert wollte sie zum Zelt zurückkehren, doch dann bemerkte sie eine grünlich schimmernde Flasche. Jane hob sie auf, um sie genauer zu betrachten. Genau in dieser Sekunde begann ein Uhu zu schreien. Jane erschrak so sehr, dass sie die Flasche fallen ließ, sodass diese mit lautem Krachen auf dem Boden zerbrach. Erst quoll nur grünlicher Rauch aus der Flasche, bald jedoch fügte er sich zu einem Körper zusammen. Seine stechenden Augen glotzten gelb und boshaft und waren blutunterlaufen. In der Hand hielt der Geist eine eiserne Kette, mit der er fürchterlich rasselte und klimperte. Ein verfaulter, schimmeliger Geruch stieg Jane in die Nase. Das Gespenst war ca. 3 Meter groß. Seine Zähne waren teils gelb, teils schwarz und aus seinem riesigen Rachen ragte eine blaue Zunge hervor. Plötzlich bemerkte Jane ein großes, gelbes Auge auf der Brust des Gespenstes. Ihr wurde klar, dass es sich um ein Auge, das Gedanken lesen konnte, handeln musste. Allein bei dem Anblick des Ungeheuers lief ihr ein eiskalter Schauer über den Rücken. Ihr wurde schlecht, und sie musste spucken- direkt auf die grün schimmernden Füße des Gespenstes. Es begann zu kreischen und seine Augen sahen ziemlich angriffslustig aus. „Ich muss weglaufen!“, dachte Jane. Sie hatte zwar gewusst, dass das Gespenst Gedanken lesen konnte. Trotzdem war sie sehr erstaunt, als es sich ihr in den Weg stellte. Mit einem lauten Schrei stürzte es sich auf sie. Plötzlich wurde alles dunkel. Das Letzte, was sie vernahm, war ein fieses Lachen, gefolgt von einem kühlen Luftzug...
Als Lilly aufwachte, fiel ihr sofort das leere Bett ihrer großen Schwester auf. Sie suchte Jane im ganzen Zelt, jedoch vergeblich. Als sie weinend ihren Vater weckte, verstand dieser kein Wort. Durch den Krach wurden auch Katharina und Sky wach. Nach ca. 10 Minuten wussten die Tschings endlich, was los war. Schnell rasten alle Sechs (auch Lissy und Skitty) nach draußen, doch keine Spur von Jane! Dann jedoch sahen sie den Grabstein. Der kleinen Lilly standen die Haare zu Berge, und der Schreck war ihr buchstäblich ins Gesicht geschrieben. Nun war klar, dass Mrs. Tsching auferstanden war, das musste auch Mr. Tsching einsehen. Denn auf einmal wurde die Grabplatte mit einem heftigen Ruck zur Seite geschoben und heraus schwebte ein blass schimmerndes Gespenst in Form von Mrs. Tsching. „Andreas Geist!“, stieß Mr. Tsching hervor. Katharina war erschrocken und erstaunt, ihre Mutter zu sehen, aber vor allen Dingen war sie glücklich. Lilly, die immer alle Gespenster für böse gehalten hatte, war ebenfalls sehr erstaunt. Plötzlich begann Mrs. Tsching zu sprechen: „Ich wusste, dass ihr kommen und mich retten würdet! Habt Ihr den Stein?“ „Den Stein?“, fragte Katharina ahnungslos. Auch Lilly schaute verständnislos von ihrem Vater zu ihrer Mutter. Doch Mr. Tsching schien begriffen zu haben: „Wir wussten nicht, dass Du hier bist, aber es ist wirklich schön Dich wiederzusehen.“ Dann wurde er wieder ernst. „Wir hatten noch keine Zeit, zum Mondsee zu gehen.“ Neugierig und verwirrt fragte Katharina: „Nun mal langsam, wer oder was sind dieser geheimnisvolle Stein und der Mondsee?“ Ihr Vater seufzte. „Ich glaube, da haben wir Euch vieles zu erklären. Jeder Mensch hat 5 Leben, das bedeutet, dass er 4- mal sterben und dann wieder auferstehen kann. Dazu jedoch braucht er den Mondstein, zu dem ich später kommen werde. Nach Deinem 5. Tod jedenfalls kannst Du nicht mehr auferstehen.“ „Und der Mondstein?“, drängte Lilly ihren Vater. „Wenn ein Mensch wieder seine ursprüngliche Gestalt annehmen möchte, muss er den Mondstein um Mitternacht in den Händen halten und auf ihn spucken.“ „Igitt!“ Sky verzog das Gesicht und rümpfte die Nase. Katharina jedoch ließ sich nicht vom Thema abbringen. „Aber Mama sieht doch schon so aus wie früher!“ „Sie sieht aus wie früher, nur dass sie jetzt durchsichtig ist.“ „Wie kann das sein?“, fragte Katharina. „Und wie kommt man an den Mondstein?“ Ihr Vater lächelte „Das waren viele Fragen auf einmal. Ja, eure Mutter ist ein Geist in ihrer Gestalt, aber damit sie wieder aus Fleisch und Blut besteht und nicht aus Luft, braucht sie den Mondstein. Jetzt zur nächsten Frage: Der Mondstein ist leicht zu beschaffen. Unter dem Sargboden befindet sich eine Falltür zu einer Treppe. Diese führt unterirdisch zum Mondsee, einem magischen See in einer Höhle. Auf dem Grund des Mondsees befindet sich der Stein. Als Geist jedoch braucht man ziemlich lange, denn als Geist darf man in 10 Minuten nicht mehr als eine von 752 Treppenstufen gehen. Es ist zwar mühsam, aber da ein Geist keinen Schlaf braucht, ist es nicht unmöglich.“ „Aber warum hat Mama es denn nicht versucht?“, überlegte Lilly. „Es gibt einen bösen Geist, der mich auch zum vierten Mal getötet hat und der danach zum fünften Mal starb, also endgültig, und nun mit allen Mitteln zu verhindern versucht, dass ich den Mondstein bekomme. Zuerst hat er so ein glibberiges Zeug auf die Stufen geschmiert. Ich habe es übersehen und musste mich mühsam befreien. Danach hat er den Sargboden so festgeleimt und –genagelt, dass ich ihn nicht aufbekam, egal wie viel Mühe ich mir gab. Endlich, nach einem halben Jahr, hatte ich es geschafft. Doch abermals hinderte mich dieser Blutteufel, den Stein zu holen, indem er den Durchgang verschüttete. Zu alle Überfluss leimte auch noch er den Sarg an den Grabstein. Da er sich mehr Mühe als beim vorigen Mal gab, war ich 1 Jahr, drei Monate und 2 ½ Wochen in diesem Sarg eingesperrt. Es war fürchterlich.“ Allein bei der Erinnerung an diese schreckliche Zeit schauderte es Ms. Tsching. „Dann, eines Nachts“, fuhr sie fort „hatte ich es geschafft. Ich wollte gerade aus meinem stickigen Sarg heraussteigen, als die Uhr 12 Uhr nachts schlug, also die Stunde des Blutteufels. Also lies ich es sein und tat so, als sei der Sarg nie geöffnet worden. Das war gestern Nacht.“ Plötzlich fiel Mr. Tsching siedend heiß ein, dass ja Jane gestern Nacht verschwunden war. Er räusperte sich „Nun, unsere zweitjüngste, Jane, ist letzte Nacht verschwunden. Hast du sie zufällig gesehen oder gehört?“ Seine Frau kratzte sich nachdenklich an der Stirn. „Was sagst du, letzte Nacht? Ich glaube, ich habe sie gehört. Dieser Krach – ach Herrjemine, ich glaube, sie hat die Flasche des Blutteufels fallen lassen und ihn damit aufgeweckt.“ Sie hielt inne „Er ist ein Flaschengeist und sogar ein ziemlich böser.“ „Und was ist jetzt mit Jane geschehen?“ „Ich glaube, wenn sie es überlebt hat, ist sie in einer kleinen Kammer, die auf dem Weg zum Mondsee liegt.“ „Was heißt das, wenn sie es überlebt hat?“ Mr. Tsching wurde blass. Doch ehe Mrs. Tsching ihm eine Antwort geben konnte, hörten sie ein lautes Knacken aus den Bäumen, die Ghost Town zum Moor hin abgrenzten. Dichter Nebel legte sich über das Land und ein gammeliger Geruch stieg in ihre Nasen. Da ertönte ein tiefe Stimme: „Wenn ihr das Mädchen lebendig wiedersehen wollt, gebt mir eure Mutter.“ Alle Tschings waren so erschrocken, dass sie in verschiedenen Richtungen flüchteten. Wie sie leider erst zu spät bemerkten, liefen Sky und Lilly genau in die Richtung der Stimme. Vor ihnen sahen sie zwei riesige, gelbe Augen. Das riesige Maul verzog sich zu einem spöttischen Grinsen, es sah so gemein aus, dass Sky eine Gänsehaut über den Rücken lief. Ihr schauderte bei dem Gedanken an ihre Schwester. Lilly war kreideweiß im Gesicht und auf einmal kippte sie vornüber und war bewusstlos. „Ich muss das Gespenst treten“, dachte Sky. Doch der Blutteufel hielt ihr Bein fest, als sie mit ihm (dem Bein) ausholte. Seine eiskalten Finger bohrten sich in Skys Bein. Wie konnte das sein? Er konnte doch nicht Gedanken lesen - oder etwa doch? Schon wieder schien er zu wissen, was sie dachte. Er flüsterte: „Ich habe ein geheimes Auge.“ Er deutete auf seine Brust, wo ein großes gelbes Auge prangte. Sky keifte: „Nun denk mal nicht, Du hast gleich gewonnen, nur weil du dieses verfluchte Auge besitzt!“ Es klang ziemlich abfällig, und dem Blutteufel schien das nicht zu gefallen. Er donnerte: “Du bist ein verdammtes Mistvieh!“ Dann wandte er sich ab, um zu gehen. Sky konnte ihr Glück kaum fassen. Doch als der Geist an ihr vorbeikam, zischte er ihr zu „Viel Glück!“ Mit einem hinterlistigen Grinsen verschwandt er im Nebel. „Wieso Glück?!?“ wunderte Sky sich. Das Schmatzen, als sie versuchte, einen Schritt zu machen, verriet ihr die Wahrheit: Sie hatten nicht bemerkt, dass sie ins Moor gelaufen waren. Ein Blick zeigte ihr, das dies stimmte, denn sie erblickte nur abgestorbene Bäume und immer, wenn sie versuchte, einen Schritt zu machen, gab der Boden noch mehr nach. Lilly jedoch rührte sich nicht. Sie schien immer noch bewusstlos zu sein. Sie war schon 10 cm im Morast versunken und auch Sky stand bereits bis zu den Knöcheln im Sumpf. Nun war alle Hilfe zu spät, – die Hilfe war nah– doch ein dunkler Schatten im Gebüsch war noch näher: Sky jedoch entdeckte ihn nicht.
Währenddessen saßen Katharina und ihre Eltern ratlos auf einem Baumstamm neben dem Zelt. „Mama, gibt es nicht irgendetwas, das den Geist verjagen könnte?“ „Ja, natürlich: Rosenparfum, aber das hat doch niemand von euch, oder?“ Die beiden anderen schüttelten trübselig den Kopf. Auf einmal kam Skitty angeprescht, dicht gefolgt von Lissy. „Ach herrjeh, ich habe ja ganz vergessen, euch zu füttern. Leider ist nicht mehr so viel Futter da.“ Als Lizzy sah, wie wenig es war, begann er zu knurren. Plötzlich fiel Katharina die Lösung ein: aber dafür brauchte sie das Rosenparfum. Mrs. Tsching schlug Eiweiß zu Eischaum und Mr. Tsching nahm das Knurren von Skitty mit einem Kassettenrekorder auf. Währenddessen suchte Katharina in den verlassenen Häusern nach Rosenparfum, da die Leute Ghost Town ja in Eile verlassen hatten. Doch leider waren die meisten Häuser nur noch Trümmer. Ein Haus am Ende der Straße jedoch sah ziemlich stabil aus. Sie (Katharina) betrat ein Schlafzimmer. Vielleicht war dort ja irgendwo Rosenparfum. Mit leisem Knarren öffnete sich die Tür. Katharinas Blick wanderte zu einer Kommode neben einem Bett. Es war mit Staub bedeckt. Oben auf der Kommode lag ein großer Stapel vergilbter Bücher und eine Tageszeitung von 2009. Auf dem Bett lag neben der mottenzerfressenen Bettdecke ein alter Kalender. Neben ihm lag ein Tagebuch. Sie schlug es auf und begann zu lesen:
16. Juni 2009 Ich habe die Lösung endlich gefunden: „Wenn das Blau die 5 m Grenze überschreitet, sind wir gerettet.“
„Was soll das denn bedeuten?“ dachte Katharina. Jedenfalls schien es nicht sehr hilfreich zu sein. Hier war jedenfalls kein Parfum. Also musste sie in den nächsten Ort fahren. Dort fand sie es. Als sie zurückkam, war bereits alles zum Abmarsch vorbereitet. Unter der Leitung von Skitty gingen sie in den Wald.
Sky war verzweifelt. Lilly war immer noch ohnmächtig und bereits bis zum Kinn im Sumpf versunken. Ihr selbst ging es nicht viel besser, denn bei jedem Befreiungsversuch war sie noch tiefer versunken. Ihre letzten Hoffnungen schwanden, und bald gab sie auf. Als sie auf die Uhr sah, blieb ihr das Herz im Halse stecken, denn es war 12 Uhr nachts, die Stunde des Blutteufels. Währenddessen machte sich der Rest der Familie bereit für den großen Auftritt. Zuerst war Mrs. Tsching an der Reihe: Sie zielte und traf genau das Brustauge des Blutteufels, der sich mit lauten Schreien umsah. Mr. Tsching stellte den Rekorder auf volle Lautstärke und so drang Skitties Knurren 10x so laut aus dem Lautsprecher. Fast wollte der Blutteufel verschwinden, doch dann entdeckte er Mr. Tsching. Nun hing alles von Katharina ab. Sie holte einmal tief Luft und sprühte dann das Parfum auf den Geist. „Nicht sprühen, ich tue euch nichts“, schrie der Geist, der sich nun nicht mehr von der Stelle rühren konnte. Seine Zunge wurde 5 cm länger. Mrs. Tsching lachte. Bei ihm ist es wie mit Pinoccio: Bei ihm wird, wenn er lügt, seine Zunge 5 cm länger. Plötzlich ging Katharina ein Licht auf: „Natürlich, dieses Tagebuch, wenn das Blaue die 5 m- Grenze überschreitet, sind wir erlöst.“ Die anderen sahen sie verständnislos an. „Versteht ihr, wenn die Zunge länger als 5m ist, verschwindet der Geist.“ Da die Zunge bereits 3.5 m lang war, dauerte es nicht lange. Der Geist wurde blasser und blasser, bis er mit einem leisen Puffen verschwandt. „Juhuh!“ „Na ja, erst mal müssen wir Jane befreien“ erinnerte Sky die anderen. Durch ein Grab von einem Tommy Bringel stiegen sie die Treppe hinunter. Nur Mrs. Tsching blieb natürlich oben. Endlich hatten sie den Mondsee erreicht. Sie beschlossen, dass Skitty, der als Hund am längsten tauchen konnte, den Mondstein holen sollte. Kurze Zeit später tauchte er wieder mit dem Mondstein auf. Die Höhle war nur schwach erleuchtet und silbrige Flammen tanzten um die Wände. Mr. Tsching befreite Jane aus der kleinen Kammer und erklärte ihr, was geschehen war. Es war gerade mal zwei Uhr nachts und da die Verwandlung von Mrs. Tsching nur um Mitternacht vollbracht werden konnte, konnten die Tschings nun erst mal schlafen. Beim Frühstück schrie Sky plötzlich: „Oh nein, ich habe meine Jacke im Moor vergessen!“ Da Sky noch sehr müde war, erklärte Jane sich bereit sie zu holen. Doch als sie an der kleinen Lichtung angelangt war, sah sie etwas Seltsames: den Blutteufel! „Aber ich dachte er sei tot?!“ Doch der Blutteufel sah alles andere als tot aus, denn er hüpfte durch den Sumpf. Als sie näher kam, konnte sie hören, wie er sang: „Wie dumm muss man sein?! Noch dümmer als ein Schwein.“ Jane war empört. Schweine waren ihre Lieblingstiere und alles andere als dumm. Der Blutteufel sang weiter: „Hätten sie gezählt, hätten sie gemerkt, dass noch ein Zentimeter fehlt! Wieso so´n Gezeter wegen nem Zentimeter?“ Er sang so schräg, dass Jane sich die Ohren zuhalten musste. Ein Zentimeter hatte gefehlt! Dass bedeutete, dass die Zunge des Blutteufels noch keine fünf Meter lang gewesen war. Aber warum war er dann verschwunden? Der letzte Teil des Liedes war die Erklärung: „Schnell drehen sieht so aus, als würd ich gehen. Aber ich bin hier, das beweist das Trampeltier.“ Jane stöhnte. Nicht nur, dass er grölte, auch seine Reime waren übel. Plötzlich sah sie nach oben und erblickte eine alte Frau. „Mrs. Citschining!“ „Jane, was machst du denn hier?“ Es war die Stimme von der Frau am Telefon. „Ich war auf der Suche nach einer Jacke und Sie?“ Mrs. Citschining schwieg. Dann antwortete sie: „Ich beobachte euch schon eine ganze Weile. Ihr steckt mit dem Blutteufel unter einer Decke.“ Jane lachte hohl. „Wir jagen ihn.“ Stellte sie richtig. „Du lügst!“ „Überhaupt nicht! Sie vielleicht, aber ich nicht.“ Das ging zu weit. Mrs. Citschining kreischte: „Er hat meinen Mann zum fünften Mal getötet!“ „Und meine Mutter zum vierten Mal!“ Jane explodierte. Doch die beiden bemerkten nicht, wie laut sie waren. Der Blutteufel, der nun mit dem schrägen Gesinge aufgehört hatte, blickte in ihre Richtung. Dann stürzte er sich mit einem lauten Schrei auf Mrs. Citschining.
So schnell sie konnte raste Jane zum Zelt. „Wo ist denn meine Jacke?“, fragte Sky. „Der Blutteufel ist nicht tot!“ „Wieso ist er nicht tot?“ „Er hat sich so schnell gedreht, dass wir dachten, er sei weg. Aber nun müssen wir Mrs. Citschining retten.“ So schnell sie konnten, eilten sie zum Moor. Keiner wusste, was sie machen sollten, denn das Rosenparfum war leer. Da hatte Katharina eine Idee. So trotzig, wie sie konnte, schrie sie: „Lass Mrs. Citschining los!“ Der Blutteufel schluckte den Köder. „Aber sicher.“, spottete er. Flopp, dieses Mal war er durch sein Lügen wirklich verschwunden. „Nun zu Euch:...“, überlegte Mrs. Citschining laut, „was für eine Strafe wäre wohl angebracht?“ „Was heißt hier Strafe? Immerhin würden Sie ohne uns gar nicht mehr leben. Sie sollten sich lieber bei uns bedanken!“ „Bedanken?! Wer weiß, ob ihr das nicht alles mit dem Blutteufel geplant habt. Ihr nichtsnutzigen Kröten seid sicher auf seiner Seite. Eine Tracht Prügel wäre jetzt genau das Richtige!“ Die Tschings sahen sich spöttisch an. „Wie wollen sie gegen uns Acht gewinnen?“ Sky tippte sich an die Stirn. Lieber wäre sie nicht so vorlaut gewesen, denn Ms. Citschining packte Lilly unsanft am Arm. Sie blickte triumphierend in die Runde. „Tja, diese Göre ist von jetzt an meine Geisel. Wenn ihr mich auch nur berührt, geh’s der Kleinen schlecht.“ Die Tschings suchten fieberhaft nach einer Lösung, denn nun waren sie gegen Mrs. Citschining machtlos. Niemand bemerkte, wie Jane sich leise aus dem Staub machte und in den Wald schlich. Zwei Minuten später kam sie mit einer hölzernen Keule zurück, die sie glücklicherweise gefunden hatte. Auf leisen Solen schlich Jane sich von hinten an Mrs. Citschining heran und versetze dieser einen heftigen Schlag auf den Kopf. Die Tschings jubelten. „Was sollen wir nun mit ihr machen?“ In diesem Augenblick kam Ms. Citschining wieder zu sich. Doch was immer die Tschings auch erwartet haben mochten, bestimmt nicht dies: Denn Ms. Citschining bekann zu singen, „Bruno, Bruno, du lieber alter Bär, deine Freundin, die Biene Maja ist hier.“ Katharina, Sky, Jane und Lilly konnten sich nicht mehr halten vor Lachen. „Ich glaube, die fahren wir am besten mal in die Klinik.“ Und das taten sie dann auch.
Um Mitternacht konnte die Verwandlung
beginnen: Mrs. Tsching spuckte auf den Stein und begann zu glühen.
Dann, nach dem zwölften Glockenschlag, stand sie wieder in
Fleisch und Blut vor ihrer Familie. Die Nachricht, dass der Geist aus
Ghost Town verschwunden war, verbreitete sich wie ein Lauffeuer und
bald sprossen die Mauern von den neuen Häusern nur so aus dem
Boden. Einige Monate später war aus dem alten, verlassenen Ghost
Town wieder die schöne Nissestadt geworden. Die Tschings jedoch
waren wieder daheim und freuten sich auf die nächsten
Herbstferien in Nissestadt.
Ende