Schattenspielblick
Von Lydia Fleischer
Auf den ersten Blick fielen mir, als ich die Vorlage für mein nun entstehendes Bild anschaute, die Schatten vieler kleiner Zweige auf dem Schimmel auf. Sie spielen nicht nur für das Foto, sondern auch für mein Gemälde eine entscheidende Rolle, da sie die Wirkung des Bildes sehr stark beeinflussen: Das Pferd scheint unter einem Baum zu stehen, in dessen schützendem Schatten es sich befindet – dies ist auch als eine Art Versteck durch ein „Verschmelzen mit der Umwelt“ auslegbar, doch in diesem Fall hätte man das Pferd nicht hinter Schatten, sondern hinter echten Zweigen verstecken sollen – es ist also ein angedeutetes Versteck, aus welchem heraus das Pferd den Betrachter anblickt. In gewisser Weise ist folglich fraglich, ob der Betrachter oder das Pferd der Beobachter ist. Die unregelmäßige, nahezu verspielte Form der Schatten trägt dazu bei, dass diese leicht und entspannt wirken – dieses lässt sich gut mit dem Gemütszustand des Pferdes in Verbindung bringen. Es scheint ganz einfach neugierig etwas zu betrachten – man kann sich gut vorstellen, wie wohl das Pferd sich fühlt, während die einzelnen Sonnenstrahlen es durch die Zweige doch noch erreichen. Dabei könnte man auch noch ein inniges Verhältnis zwischen dem Betrachter (bzw. zuvor dem Fotografen) und diesem Tier zu spüren meinen, da ein weiteres anziehendes Element des Bildes das Auge des Pferdes ist, welches ja als Spiegelbild der Seele gilt – und noch dazu weitaus mehr verraten kann als viele Gestiken bzw. Worte. Hier wird der gewählte Bildausschnitt wichtig: Die Bildränder schneiden den Hintergrund fast gänzlich ab, sodass dieser sich nicht einmal wirklich erahnen lässt. Man ist daher gezwungen, sich auf das Pferd und seine Ausstrahlung zu konzentrieren. So wird der Eindruck einer gewissen Verbundenheit erzeugt. Eine aufdringliche, erdrückende Nähe wird aber verhindert, da von dem Pferd nicht nur ein Teil des Kopfes, sondern auch einer des Halses abgebildet ist.
Die Farben im Bild sind ebenfalls von Bedeutung. Schon auf der Vorlage entpuppt sich, was auf den ersten Blick schlicht grau erscheint, als eigentlich sehr farbenfroh – insbesondere an den Rändern der Schatten sind verschiedenste Farbtöne entdeckbar. Das möchte ich auf meinem Bild ebenso herausarbeiten, um hervorzuheben, dass graue, triste Dinge tatsächlich oft farbenfroh und somit durchaus positiv sind. Möglicherweise ist das auch eine Weisheit, die das Pferd dem Betrachter in dem stummen Zwiegespräch mitteilen möchte?