Nie mehr Sitzenbleiben?

Stormarn: Debatte über neues Konzept der Landesregierung. Schulrat und Schulleiter setzen auf Förderung. Wiederholen der Klasse nur im Ausnahmefall.



Ahrensburg
-  Bildungsministerin Ute Erdsiek-Rave (SPD) will das Sitzenbleiben an Schulen in Schleswig-Holstein weitgehend abschaffen. Fördern statt Sitzenbleiben lautet die Formel, die das Land mit der höchsten Wiederholerquote in Deutschland nach vorn bringen soll. Die Debatte ums Sitzenbleiben ist daraufhin neu entbrannt - auch in Stormarn.

"Das Ziel der Landesregierung ist gut. Es ist besser, schwache Schüler gezielt zu fördern, als sie einfach eine Klasse wiederholen zu lassen", sagt Schulrat Eckhard Aleidt (56), der die Pläne begrüßt. "Wir haben in Stormarn in der Sekundarstufe eins mit den Klassen fünf bis zehn über alle Schularten hinweg eine Sitzenbleiberquote von fünf Prozent. Das ist extrem viel", betont der Fachmann. "Aus meiner Sicht sind viele dabei, die nicht hätten sitzenblei-ben müssen." Es mache wenig Sinn, wenn ein Schüler mit drei Fünfen - etwa in Deutsch, Mathe und Kunst - automatisch eine Ehrenrunde drehen muß. Aleidt: "Für viele führt das zum Absturz."

Besser sei es, leistungsschwache Schüler schon möglichst früh differenziert zu unterrichten und gegebenenfalls einen Förderlernplan für sie zu entwickeln, der von Lehrern, Eltern und dem Schüler unterzeichnet und umgesetzt wird. Das sieht das Konzept vor. "Wer den Einstieg in Mathe nicht gepackt hat, soll künftig Unterricht erhalten, der auf ihn abgestellt ist und ihm Erfolge ermöglicht. Die Parole ,Wer nicht ins Raster paßt, fliegt raus' gilt nicht mehr", sagt Schulrat Aleidt.

Praktisch will das Land die Sache mit 40 neuen Lehrer in jedem der kommenden fünf Jahre unterstützen. Sie sollen in Brennpunkten eingesetzt werden. "Ich halte sehr viel von den Plänen, vorausgesetzt, die Fördermittel kommen", sagt Michaela Witte (41), Leiterin der Stormarnschule (Klassenstufe 6 bis 13) in Ahrensburg. "Wir brauchen mehr Lehrer, dann bin ich dabei", sagt Witte.

Gleichwohl sieht sie im Sitzenbleiben auch Chancen: "Lebensläufe verlaufen nicht linear. Wiederholen kann für Schüler in einer bestimmten Phase, etwa während der Pubertät, positive Effekte haben und sollte pädagogische Option bleiben", sagt die ehemalige Mittelstufenleiterin und fügt hinzu: "Einige brauchen einen gewissen Druck."

Hartmut Hentschel (53), Leiter der Hahnheide-Realschule in Trittau, findet das Motto "mehr fördern" ebenfalls gut - wenn die Ressourcen bereitstehen. "Zur Zeit können wir nicht mal die reguläre Stundentafel erfüllen." Im Kleinen werden an seiner Schule bereits Förderkurse in der Orientierungsstufe in Mathematik, Deutsch und Legasthenie (5. und 6. Klassen) angeboten. Auch Hentschel hält Sitzenbleiben nicht zwingend für falsch: "Ein Mitschüler von mir ist erst in seiner Ehrenrunde gereift. Heute ist er als Diplomphysiker erfolgreich."

Sitzenbleiben per Verordnung abzuschaffen, findet Sabina Cambeis (50), Leiterin der Friedrich-Junge-Realschule in Großhansdorf, nicht in Ordnung. "Wenn keiner wiederholen darf, ist das nicht gut. Es gibt einzelne Fälle, da macht das Wiederholen Sinn." Fördern und mit Eltern sprechen sei nicht neu, "aber die Defizite eines Schülers genau herauszuarbeiten, eine Diagnose zu stellen und daraus einen Lernplan zu machen, halte ich aber für sinnvoll".

Gezielte Förderung gehört bei Angelika Knies (52) von der IGS Bargteheide längst zum Alltag. "Bei uns bleibt keiner sitzen. Wir sind eine Gesamtschule. Wenn ein Schüler Probleme hat, wird er individuell unterstützt. Wir treffen eine Diagnose und nehmen eine Binnendifferenzierung im Unterricht vor."

Sitzenbleiben bringe in aller Regel keinen Erfolg, meint die Pädagogin. "Wir müssen einen anderen Umgang mit den Schülern finden und uns ein Fördersystem ausdenken, das individuell differenziert. Das geht", sagt Angelika Knies.

Die höchste Sitzenbleiberquote in Schleswig-Holstein wiesen im Schuljahr 2004/2005 die Realschulen auf (5,8 Prozent), gefolgt von den Hauptschulen (4,7 Prozent) und den Gymnasien (1,9).

Jörg Riefenstahl

aus: Ahrensburger Zeitung 24. Dezember 2005 - Veröffentlichung mit freundlicher Erlaubnis des Verlages

 

Homepage der Stormarnschule Ahrensburg

 

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