17 Jahre altes Ausnahmetalent Justus Tennie aus Hoisdorf spielt am Sonntag in der Hamburger Laeiszhalle
Hoisdorf. Drei bis vier Stunden sitzt
Justus Tennie täglich am Flügel. Dazu kommen der
Klavierunterricht bei Michael Beißenhirtz am Konservatorium in
Blankenese, Dirigierunterricht bei Michael Klaue in Ahrensburg, das
Studieren von Partituren, Proben mit dem Mittwochsorchester, bei dem er
als erster Schüler überhaupt am Pult stehen darf, und so ganz
nebenbei 38 Stunden und Hausaufgaben. Die Woche des 17-Jährigen
ist voll.
Was ist mit Kino, Theater und einem netten Abend in der Kneipe?
Justus Tennie schüttelt den Kopf und lächelt wissend. Er hat
eine Mission. Und am Sonnabend? Ist er da wenigstens mit Freunden
unterwegs? "Nein", sagt der Hoisdorfer. Und das klingt nicht traurig.
Es ist eine Feststellung. "Ich habe dafür einfach keine Zeit."
In den vergangenen Wochen hatte er noch weniger Zeit als sonst, wie
immer vor Konzerten. Bis zu sechs Stunden hat der Stormarnschüler
täglich für seinen Auftritt in der Hamburger Laeiszhalle
geübt. An diesem Sonntag ist es so weit. Griegs Klavierkonzert
steht auf dem Programm. Die Hamburger Orchestergemeinschaft spielt. Der
Großhansdorfer Johannes Schlesinger steht am Pult. Am Klavier:
der 17-jährige Justus aus Hoisdorf.
Den Flügel durfte sich das Ausnahmetalent aussuchen. Drei standen in der Laeiszhalle zur Verfügung. Einer wird nun sein Partner auf der Bühne sein. Justus Tennie: "Er ist brillant im Klang, in der Technik präzise und vor allem nicht zu weich. Ein bisschen Arbeitswiderstand brauche ich."
Angst vor dem Auftritt hat er nicht. Er ist bestens präpariert.
"Erst verschaffe ich mir einen Überblick, dann geht es an die
Detailarbeit, dann an die Interpretation. Ich hole mir auch Rat von
meinem Lehrer. Aber am Schluss muss ich machen, was ich selbst glaube",
beschreibt er seine Herangehensweise. Manchmal übt er in Gedanken,
um das Werk abstrakter zu fassen und physische Belastung zu vermeiden.
Manchmal übt er drei, vier Tage nur schwierige Stellen. Immer nur
halbe Takte, stundenlang. "Baustellen" nennt er diese Klippen, die er
mit enormer Disziplin überwindet. Wenn der Rücken zu sehr
weht tut, joggt er. Fünf Kilometer müssen es schon sein.
Mittelmaß scheint nicht seine Sache zu sein. Auch in der Schule:
nur Einser. "Bis auf Geschichte", sagt der 17-Jährige.
Heute ist Generalprobe. Morgen um 11 Uhr beginnt das Konzert. "Eine
Anspannung ist immer da. Sonst wäre das kein gutes Gefühl",
sagt der Hoisdorfer. Der Adrenalinschub ist enorm. Erst am Tag danach
wird der Pegel wieder auf Normalmaß sein. "Aber um wirklich zu
landen, brauche ich fast eine Woche", sagt er, der als Überflieger
eigentlich ständig auf Kurs ist. "Ich will hoch hinaus", gibt der
junge Mann unumwunden zu. Mit fünf Jahren ging er an den Start,
mit Klavierunterricht bei der Ahrensburgerin Antoneta Bischel - so wie
sein Bruder Felix, ein ebensolches Ausnahmetalent. Nun bekommt Justus
ab dem Wintersemester ein Stipendium der Begabtenförderung. Wie
ist es bei diesem Tempo und den Erfolgen mit der Bodenhaftung bestellt?
Justus wehrt ab. Um wirklich Spitze zu sein, müsse er noch lange
hart arbeiten. "Ich will mich anstrengen, ja. Aber nicht, um eine
Medaille zu bekommen. Es geht doch um die Musik", sagt der
17-Jährige beschwörend. Oft kann er nicht einschlafen, weil
die Musik in seinem Kopf immer weitergeht.